Dorf in der Migrationskrise Wenn sich Anwohner plötzlich mit Pfefferspray bewaffnen

Stand: 10.03.2023 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Dominik Kalus

Peutenhausen in Oberbayern
Quelle: Dominik Kalus

Nach mehreren Fällen von Einbruch und sexueller Belästigung von Frauen will Peutenhausen in Oberbayern keine Migranten mehr aufnehmen. Dorfbewohner rüsten sich mit Pfefferspray aus. Auch Rechtsextreme machen mobil. Die Situation scheint ausweglos.

Eigentlich hat Alfred Lengler "die Schnauze voll" vom Medieninteresse an seinem Dorf. Aber darüber zu reden sei wichtig, und so sitzt der CSU-Bürgermeister des 650-Einwohner-Dorfes Peutenhausen im örtlichen Feuerwehrhaus und redet: über seinen Hilferuf, der nicht gehört wurde. Über Frust und Enttäuschung. Über Dorfbewohner, die sich plötzlich mit Pfefferspray ausrüsteten.

Lengler, volles graues Haar und Trachtenjanker, blickt ernst und verschränkt immer wieder die Arme. Er hat sich das Thema wahrlich nicht ausgesucht.

Alfred Lengler (CSU), Bürgermeister von Peutenhausen
Quelle: Dominik Kalus

Quelle: Infografik WELT

Im Januar hatte Lengler öffentlichkeitswirksam verkündet, keine Migranten mehr aufzunehmen. Jetzt sei Schluss, man habe seine Schuldigkeit getan. Die Verträge für die beiden Unterkünfte hat er gekündigt, 2024 werden sie auslaufen. "Von Schleswig-Holstein bis Traunstein" habe er daraufhin Reaktionen bekommen, von Bürgern und Bürgermeistern.

Viele seien froh gewesen, "dass jemand mal ausspricht, dass es nicht mehr funktioniert". Nur "die Politik" habe sich nicht interessiert, kein Abgeordneter sich gemeldet oder mal nachgefragt. "Jeder hat Angst, das Thema aufzugreifen, aus Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden", sagt Lengler.

Da kippte die Stimmung

Thomas Tyroller, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Peutenhausen
Quelle: Dominik Kalus

Im Sommer 2015 sah die Lage anders aus. Wie in vielen Orten Deutschlands entstand auch in Peutenhausen teils euphorische Hilfsbereitschaft. Schnell bildete sich ein Helferkreis, um die etwa 50 Migranten im Ort zu unterstützen; eine Lokalzeitung lobte den ehrenamtlichen "Einsatz mit Herz".

Das Foto des Artikels zeigt eine Peutenhausenerin mit zwei geflüchteten Mädchen, alle drei strahlen. "Damals haben alle guten Willen gezeigt", sagt Thomas Tyroller, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Peutenhausen. Die Dorfbewohner hätten sich koordiniert, die Asylbewerber zum Einkaufen oder zum Arzt zu fahren - im Ort selbst gibt es ja kaum Infrastruktur.

Auch Tyroller war ehrenamtlich aktiv, hat gemeinsam mit anderen die Unterkünfte für Migranten im Ort hergerichtet. Heute unterstützt er den Kurs seines Bürgermeisters und ist ins Feuerwehrhaus gekommen, um zu erklären, warum.

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"Es kann nicht sein, dass eine Dorfgemeinschaft über Jahre auffangen muss, was Aufgabe des Staates wäre", sagt er. Der Helferkreis hat sich schon vor ein paar Jahren aufgelöst. Jetzt finde sich niemand mehr, der helfen kann oder will. "Es war immer als Initialhilfe gedacht, bis eine staatliche Stelle Infrastruktur schafft. Das ist aber nie passiert", sagt Tyroller. Seitdem gebe es auch kein Zusammenleben mehr zwischen den Dorfbewohnern und den etwa 50 Asylbewerbern.

Es blieb ein Nebeneinanderleben, das halbwegs funktioniert hat, bis 2022 in Peutenhausen mehrmals eingebrochen wurde, auch bei Tyroller. Eine Überwachungskamera habe den Täter aufgezeichnet; er habe diesen wiedererkannt aus dem Umfeld einer Peutenhausener Asylunterkunft.

Kurz darauf kam es zu einem Vorfall, der die Stimmung im Dorf endgültig zum Kippen gebracht hatte. Zwei junge Männer aus der Unterkunft sollen betrunken eine Trauerfeier gestört und vor der Kirche zwei ältere Frauen sexuell belästigt haben. Ein Anwohner habe die Schreie gehört und Schlimmeres verhindern können, erzählt Tyroller.

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Der mutmaßliche Einbrecher ist mittlerweile in Untersuchungshaft; die beiden jungen Männer wurden in eine Unterkunft in einem anderen Ort verlegt - laut Tyroller und Bürgermeister Lengler erst, nachdem sie den Behörden Druck gemacht hatten. Der Justizapparat habe von sich aus nicht so reagiert, wie er es als Bürger erwarten würde, sagt Tyroller. "Auch Deutsche bauen Bockmist. Aber es muss einfach dann auch die Konsequenz da sein."

Quelle: Dominik Kalus

Nach dem Vorfall vor der Kirche habe Angst im Dorf geherrscht. Kurz zuvor war in Illerkirchberg ein Mädchen getötet worden, diese Nachricht hätten alle im Kopf gehabt, erzählt Lengler.

Viele hätten sich Pfefferspray besorgt, zeitweise sei bei Dunkelheit niemand mehr auf der Straße gewesen. Was Lengler und Tyroller mehrfach betonen: Niemand im Dorf sei "rechts" - man wolle auch mit der AfD nichts zu tun haben. "Wir sind normale Bürger, die in Ruhe ihre Arbeit machen wollen", sagt Lengler.

Dann kamen die Rechtsextremen

Das durchgestrichene Logo der Partei Der III. Weg, rechts eine gegen die Rechtsextremen gerichtete Botschaft
Quelle: Dominik Kalus

Spaziergang durch das Dorf. Das Feuerwehrhaus ist auffallend modern, vor zwei Jahren wurde es eingeweiht. Peutenhausen liegt zwischen den Wirtschaftsstandorten Augsburg, Ingolstadt und München, der Gemeinde geht es nicht schlecht, der Ort wächst. Eine Kirche, ein Metzger, am Ortsrand ein Sägewerk - wer das bayerische Landleben kennt, der sieht erst mal nichts Ungewöhnliches.

Aber wer sucht, der findet die Spuren von einem weiteren Vorfall, der Bürgermeister Lengler das Leben schwer macht. Auf einen Anhänger gegenüber der Kirche wurde mit grüner Farbe dreimal das Logo der rechtsextremen Kleinpartei Der III. Weg gesprüht - mittlerweile durchgestrichen, aber immer noch klar erkennbar.

Vor ein paar Wochen fuhren Rechtsextreme von außerhalb in Peutenhausen auf, besprühten Zigarettenautomaten sowie Container und zündeten ein Rauchfeuer vor der Asylbewerberunterkunft. Spätestens seitdem sind auch die Asylsuchenden im Ort verängstigt; einer Reporterin des Bayerischen Rundfunks sagte ein Bewohner der Unterkunft, dass sie nun in Schichten schliefen und weg aus Peutenhausen wollten.

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Für Bürgermeister Lengler waren die darauffolgenden Tage die "schlimmste Zeit" in seinem Berufsleben, er habe nicht mehr abschalten können, sei nachts wach gelegen. "Du weißt ja nicht, was passiert, ob nicht doch ein rechtsradikaler Idiot herkommt und die Bude anzündet."

Dass Asylbewerber den Ort verlassen möchten, kann er gut verstehen - auch aus einem ganz profanen Grund: "In Peutenhausen gibt es nichts, keinen Bus, nichts. Wie sollen die da weiterkommen?" Er habe niemanden, der Sprachkurse geben oder bei der Integration helfen könne. Tyroller pflichtet ihm bei: "Wem tut man einen Gefallen, wenn man die Leute auf Dörfer aufteilt und sitzen lässt?"

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Tyroller beklagt außerdem mangelnde Differenzierung im Diskurs: Es gebe einerseits die "Pro-Flüchtlings-Fraktion", für die alle Welt nur bunt und schön sei, und auf der anderen Seite diejenigen, die am liebsten alle rausschmeißen wollten. Beide Sichtweisen seien nicht hilfreich, aber es gebe kaum etwas dazwischen.

Auch stört ihn, wenn jemand von außerhalb die Probleme im Ort kleinrede, nach dem Motto: Die Peutenhausener sollen sich nicht so anstellen, mit den paar Migranten würden sie doch wohl klarkommen. So einfach sei es nicht. "Wenn jemand das Patentrezept hat, ist er herzlich eingeladen, das mitzuteilen und umzusetzen."


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